«End-to-End-Prozesse»
Die Anforderungen und Bedürfnisse der Kunden stehen im Zentrum eines Unternehmens – schliesslich verdient ein Unternehmen sein Geld primär mit der Erfüllung dieser Bedürfnisse. Somit ist es angebracht, die damit verbundenen Aktivitäten möglichst effizient zu organisieren, um die Leistungen mit tiefen Kosten sowie angemessenen Risiken zu erbringen und ein Kundenerlebnis über alle Kanäle zu realisieren. Dieser Herausforderung wird durch Verwendung von End-To-End-Prozessen begegnet. Die Aktivitäten werden «vom Kunden / zum Kunden» effizient strukturiert und in einem Team, das den End-To-End-Prozess versteht und steuert, laufend weiterentwickelt. Dieses Team übernimmt die Verantwortung für die Ausgestaltung und Weiterentwicklung einer Wertschöpfungskette. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, setzt sich das Team aus Vertretern der Bereiche zusammen, die an der Wertschöpfung beteiligt sind. In der Praxis bezeichnen wir ein solches Team als «Prozess-Team». Das Team benötigt eine Leaderin oder einen Leader – denn ein Team ohne Führung funktioniert nicht. Die Führungsaufgabe wird von einer «Prozess-Verantwortlichen» oder einem «Process-Owner» wahrgenommen.
Das Prozess-Team nimmt aber nicht nur die Perspektive des Kunden ein, es sorgt auch dafür, dass Anforderungen anderer Anspruchsgruppen wie Lieferanten, Regulatoren oder der involvierten Partner aufgenommen und bearbeitet werden. Bei einem End-to-End-Prozess stehen der Kundenbedarf und die ergebnisorientierte Leistungserbringung im Fokus – den Anforderungen aus der Strategie, der Technologie oder der Regulation sind aber auch Beachtung zu schenken.
Der Ausgangs- und der Endpunkt eines End-to-End-Prozesses sind die Kunden. Der Geschäftsfall in Form des Kundenbedarfs wird schrittweise bearbeitet (möglicherweise auch durch Outsourcing-Partner) und am Ende des Prozesses steht die Leistung für die Kunden. Die Leistungserbringung erfolgt auf Basis der vereinbarten Produkte, Dienstleistungen oder Aufträge über unterschiedliche Kanäle. Ein echter End-to- End-Prozess umfasst somit alle Tätigkeiten, die nötig sind, um die Leistung für den gewünschten Kundenbedarf zu erbringen.
Ein End-to-End-Prozess folgt somit nicht der Sicht eines einzelnen Geschäftsbereichs, sondern der Abwicklung eines Geschäftsfalls über mehrere Geschäftsbereiche oder Unternehmen hinweg. Die Tätigkeiten in einem End-To-End-Prozess können dabei von einem oder mehreren Unternehmen erfüllt werden. In Ökosystemen oder Outsourcing- Modellen sind mehrere Parteien in die Abwicklung involviert. Als Erläuterung finden Sie in der Tabelle 1 einige Beispiele von End-To-End-Prozessen aus verschiedenen Branchen.
End-to-End-Prozesse identifizieren
Für die Identifikation der wesentlichen End-to- End-Prozesse in einem Unternehmen gibt es keine Patentlösung. Um den aktuellen Stand zu erfassen und zu visualisieren, ist die Orientierung an den Kundengruppen (z.B. Privatpersonen, juristische Personen) und den zu erbringenden Dienstleistungen eine sinnvolle Basis.
Wichtig ist eine breite Akzeptanz der End- To-End-Prozesse, denn darauf bauen weitere Konzepte wie die Prozessverantwortung und die Steuerung mittels Prozess-Team auf.
In die End-To-End-Prozesse sind auch Partner- Unternehmen (beispielsweise bei Outsourcing oder in einem Ökosystem) zu integrieren. Denn auch sie tragen zur Leistungserbringung für die Kunden bei.
Ein weiterer Aspekt, der zunehmend von Bedeutung ist, sind die sogenannten Kanalübergänge. Diese ergeben sich aus der «Customer Journey» bzw. der «Kundenreise ». Diese Übergänge zwischen den Kanälen (beispielsweise von der App zum Telefon) mit Kontakten, Status-Informationen, Daten und teilweise Dokumenten sind in den Prozessen permanent zu berücksichtigen, sie sind Teil des Kundenerlebnisses.
Einen «Elefant» in Scheiben schneiden
Ein End-to-End-Prozess ist eine Prozess- oder Wertschöpfungskette, die aus sämtlichen zeitlich-logisch aufeinander folgenden Prozessen und Aktivitäten besteht, die zur Realisierung des Kundenbedarfs notwendig sind.
Die Abwicklung eines End-to-End-Prozesses erfolgt schrittweise oft über verschiedene Unternehmensbereiche oder auch Partner hinweg. Oft sind auch mehrere Applikationen, technische Schnittstellen sowie physische und digitale «Touchpoints» mit Kunden (Kanalübergänge) ein Bestandteil eines echten End-to-End-Prozesses. Dabei sind auch aus fachlicher Sicht Status- und Datenformat-Standards wichtig, um eine effiziente Abwicklung sicherzustellen.
Die durchgängige Abwicklung eines End-to- End-Prozesses aber auch dessen Analyse und Verbesserung sind anspruchsvolle Tätigkeiten. Um diese Komplexität zu beherrschen, den Überblick zu schaffen und zu behalten, empfiehlt es sich, die identifizierten End-to-End-Prozesse im Unternehmen (Level 1) in Hauptprozesse, Teilprozesse und eventuell Subprozesse herunterzubrechen und zu visualisieren. So lässt sich der Elefant in Scheiben schneiden.
Abbildung 2: Dekomposition End-To-End-Prozess Finanzierung in überschaubare Einheiten
Auch bei dieser Dekomposition der End-to- End-Prozesse in überschaubare Einheiten ist kein Patentrezept vorhanden. Die Verwendung von Rahmenwerken wird empfohlen, um Erfahrungen anderer Unternehmen und Standardisierungs-Organisationen zu nutzen. Wichtig ist insbesondere, dass sich die Personen in einem Prozess-Team und die Anspruchsgruppen im Umfeld mit den Prozessen fachlich auseinandersetzen. Möglichst alle Abhängigkeiten eines Prozesses sollten in die Analyse von Weiterentwicklungen einfliessen.
Kollaboratives Prozessmanagement leben
Mit den modellierten und visualisierten End-to-End-Prozessen soll im operativen Geschäft sowie in einem Prozess-Team gearbeitet werden können. Operativ beispielsweise, wenn es darum geht, Fehler aufgrund von Kundenreaktionen zu erkennen oder Abwicklungszeiten und Stückzahlen zu messen. In einem Prozess-Team entsprechend, wenn Applikationen und Schnittstellen optimiert oder Probleme und Risiken identifiziert und Kontrollen definiert werden. Diese praktische Anwendung weist den Prozessen die nötige Relevanz zu, damit sie aktuell bleiben.
Aktuell bleiben Prozesse, weil sie kollaborativ mit zeitgemässen Prozessmanagement-Lösungen im Prozess-Team bearbeitet werden. Das verhindert, dass Prozessentwickler im Elfenbeinturm mit einer spezialisierten Software eine Prozesswelt erarbeiten, die nach der Abnahme durch das Management verstaubt.
Abbildung 3: Transformation von Prozessen im Prozess-Team
Die Kollaboration muss von den Prozessverantwortlichen moderiert und getaktet sein, sollte aber weniger von einem einzelnen Projekt getrieben sein. So kann beispielsweise ein Produktmanager die Prozesse für seine Produkte regelmässig und strukturiert in Workshops diskutieren und Verbesserungspotenziale einbringen. Ein Applikationsverantwortlicher bringt seine Ideen und Konzepte für die Verbesserung der Anwendungen ebenfalls in das Prozess-Team ein. Die Verbesserungen werden anschliessend in Anforderungen formuliert und in agilen Veränderungsprozessen oder Projekten umgesetzt. Ein Prozess-Team sollte Vertreter aller Geschäftsbereiche eines End-To- End-Prozesses einbeziehen.
End-to-End-Prozessmanagement einführen
Damit ein Unternehmen den Entwicklungsschritt vom heutigen Geschäftsprozessmanagement zu einem angewandten End-to-End-Prozessmanagement mit funktions- und bereichsübergreifender Integration von Prozessen schafft, müssen vier wesentliche Voraussetzungen geschaffen werden.
- Das Verständnis für eine End-to-End- Sicht der Leistungserbringung vom Kunden zum Kunden, orientiert an der Wertschöpfung, muss geschaffen werden.
- Die Verankerung einer übergreifenden Prozessverantwortung in der Corporate Governance ist erforderlich, um eine Rolle wie den «Process-Owner» zu etablieren.
- Die Mitwirkung in einem Prozess-Team soll als Entwicklungsschritt für die Leadership- Entwicklung positioniert werden.
- Der Support der Entscheidungsträger und Beeinflusser (formelle und informelle Strukturen) ist sicherzustellen.
Basierend auf diesen Voraussetzungen ist die schrittweise Einführung eines End-to-End-Prozessmanagements zu empfehlen. Mit der Umsetzung eines bedeutenden End-To- End-Prozesses mit einem Prozess-Team und einem Process-Owner können erste Erfahrungen gesammelt und objektiv beurteilt werden. Die Umsetzung weiterer End-to- End-Prozesse baut auf den Lernerfolgen auf und wird dadurch einfacher.
«Mit End-to-End-Prozessen realisieren Unternehmen eine bedarfs- und kundenorientierte Leistungserbringung und stellen eine bereichsübergreifende Integration sicher.»
Roger Zünd, Umtriebiger Betriebsökonom und Veränderungsmacher
Zusammenfassung
Die Umsetzung echter End-to-End-Prozesse vom Kundenbedarf bis hin zur kompletten, funktions- und bereichsübergreifenden Leistungserbringung ist anspruchsvoll, bringt aber gewichtige Vorteile mit sich. Mit einer echten End-to-End-Sicht wird das Prozessmanagement in einem Unternehmen zu einer vernetzten Management-Disziplin, etwas, das heute oft noch fehlt. Prozesse können dort gesteuert und optimiert werden, wo sinnvoll und notwendig. Der Kunde bzw. eine kundenorientierte Wertschöpfung rückt ins Zentrum des Geschehens.
«Mit der Einführung von End-to-End- Prozessen stellt ein Unternehmen die fokussierte Leistungserbringung und durchgängige Integration sicher – oft über mehrere Geschäftsbereiche, Applikationen, Schnittstellen und Kundenkanäle hinweg.
Gleichzeitig beteiligen sich im ‹Prozess- Team› Mitarbeitende aus verschiedenen Anspruchsgruppen an der Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Wertschöpfungskette.
Mit Hilfe der Visualisierung der End-to- End-Prozesse wird der ‹Elefant› in Scheiben geschnitten.
Im Unternehmen muss das Verständnis für die End-to-End-Sicht der Leistungserbringung und die übergreifende Prozessverantwortung in der Corporate Governance verankert werden. Dann steht der schrittweisen Umsetzung eines echten End-to-End-Prozessmanagements nichts im Weg.»
Roger Zünd & Stefan Lenz